Interview BIZ travel, Galleria, November 2012
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Kulturmagazin Max Joseph, Münchner Opernfestspiele, July 2012
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Interview zu Macbeth, Welt kompakt, September 2010
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Interview zu Macbeth, Time Out Chicago,
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SZ-Beilage # 4, November 2009 – February 2010
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SCHWEINFURTER TAGBLATT, 29.09.2007
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KÖLNISCHE RUNDSCHAU, 13.07.2007
Zwischen Macht und Menschlichkeit
Nadja Michael (38) singt in der Neuproduktion der Bregenzer Festspiele Puccinis „Tosca”. Premiere ist am 19. Juli.
Bei den Proben sprach Christa Hasselhorst mit der Sopranistin.
Ihre letzte Glanzrolle war die Salome an der Scala. Nun singen Sie die Tosca – beides Frauen, die unglaublich konsequent sind: Tosca folgt ihrem Geliebten in den Tod. Bewundern Sie diese Kompromisslosigkeit?
Charakterstärke bewundere ich sehr. Tosca und Salome sind jedoch sehr gegensätzlich. Salome folgt den Machtstrukturen ihrer verkorksten Erziehung. Tosca hingegen ist erst eine reine Seele, die dann jegliche Illusionen verliert. Das Schicksal reißt sie fort. Somit hat sie keine Wahl – das ist die Ähnlichkeit zu Salome!
Die Tosca ist Ihre Paraderolle. Wie interpretiert Regisseur Philipp Himmelmann, mit dem Sie in Berlin „Don Carlos“ gemacht haben, diese Figur?
Diese Tosca ist ausgelassen, naiv und schwärmerisch wie Cavaradossi. Kunst ist für beide Heimat und Zentrum. Diese etwas infantile Weltsicht zerbricht beim Aufprall mit Scarpias korrupter, perverser politischer Machtwelt. Mit der Arie „Vissi d’arte“ fällt dann Schicht um Schicht von ihr ab. Sie muss schlagartig erwachsen werden, Verantwortung übernehmen, wird zum Mord befähigt. Himmelmann ist absolut zugänglich, wir haben über vieles vehement diskutiert und uns dann geeinigt. Tosca als Teenager – das sahen wir beide so. Sie ist 18 bis 19 Jahre alt, das ist entgegen der traditionellen Konzeption, die mich immer gestört hat.
Tosca springt zum Finale von der römischen Engelsburg in den Tod, hechten Sie – als ehemalige Leistungsschwimmerin – nun in den Bodensee?
Aus 48 Metern Höhe? Ich bitte Sie! Das lasse ich offen, aber ich garantiere: es ist genial gelöst! Übrigens hat Johannes Leiacker ein fantastisches Bühnenbild kreiert, da kriegt man richtig Gänsehaut.
Warum sind Sie von Mezzo auf Sopran umgesattelt?
Das hat sich lange vorher angekündigt. Mein Timbre in der tieferen Mittellage erschien mir nicht mehr natürlich. Als ich meinen Mitschnitt der Prinzessin Eboli im Hamburger „Don Carlos“ anhörte, da wusste ich: es muss etwas passieren! Bald fand ich einen wunderbaren Gesangslehrer, und uns beiden war klar: ich bin ein Sopran. Die Stimme hatte sich durch die dramatischen Mezzorollen verändert, weiterentwickelt und für den oberen Raum geöffnet.
Es geht Ihnen nicht nur um Schöngesang, Sie wollen das Existenzielle aufzeigen.
Wenn wir etwas so Traditionellem wie der Oper keine existenzielle Notwendigkeit unterlegen, warum dann das Ganze heute noch? Für mich ist Oper die Königsdisziplin, die alle Künste vereint. Deswegen strömen ja alle dahin.
Im November geben Sie in Berlin Ihr Debüt als „Marta“ in „Tiefland“, danach als „Medea“ in Brüssel. Welche Rollen würden Sie lieber nicht singen?
Partien, die keine Entwicklung in sich tragen, fallen mir schwer. So habe ich die „Elsa“ im „Lohengrin“ abgelehnt, obwohl ich mich nach lyrischeren Partien wie der Elektra in Mozarts „Idomeneo“ sehne. Auch „Senta“ und „Sieglinde“ müssen warten, dabei liebe ich Wagner! Aber 2008 singe ich an der Deutschen Oper Berlin im „Tannhäuser“ beide Partien, Elisabeth als Gegenentwurf zur Venus.
2010 führen Sie in Bremen bei der „Tosca“ Regie. Sind Sie unzufrieden mit bisherigen Deutungen?
Mit „Tosca bewegt mich eine Art Unzufriedenheit schon lange vor Bregenz. Mich beschäftigt das sehr aktuelle Thema Macht und Menschlichkeit. Wie positioniert sich ein Individuum in einem Staat, ein Mensch mit Idealen gegenüber einem monströsen System? Diese Mechanismen scheinen mir immer und überall gültig.
BERLINER MORGENPOST EXTRA, 28.12.2006
STAR MIT SPORTSGEIST
Neu als Sopranistin: Nadja Michael
von Martina Helmig
Auch wenn sie nie gesungen hätte, wäre sie vielleicht ein Star geworden. Allerdings nicht auf der Bühne, sondern im Becken. Als Jugendliche zählte Nadja Michael zu den Nachwuchshoffnungen im Schimmsport der DDR. Auf dem Weg zur Spitze machte sie einen radikalen Rückzieher. Mit Anabolika und Hormonen wollte sie nichts zu tun haben.
Das sportliche Leistungsbewusstein hat ihr aber auch bei ihrer Opernkarriere genützt, die nach der abenteurlichen Flucht in den Westen im Kofferraum eines Autos und dem Studium in Stuttgart und Bloomington begann. Heute geben Power-Yoga und Radfahren der 37-Jährigen die nötige Energie: “Sonst könnte ich dieses Leben mit den vielen Vorstellungen, den Kindern, dem Reisen und dem ganzen organisatorischen Wahnsinn nicht durchstehen.” Die weltweit gefeierte Sängerin mit dem Aussehen eines Models ist jetzt als Tosca und als Santuzza in “Cavalleria rusticana” zu erleben.
Zwei große Sopranpartien singt Nadja Michael-alles andere als selbstverständlich. Als Mezzosopranistin hat sie 1999 an der Deutschen Oper debütiert. Zwischen London und Wien, Mailand und Berlin war sie als Eboli, Kundry und Venus gefragt. Vor zwei Jahren merkte sie, dass sich ihre Stimme veränderte, dass die Höhenlagen immer natürlicher klangen und die Tiefe sich zunehmend künstlich anfühlte. Mit hartem Stimmtraining und viel Mut zum Risiko wagte sie den Fachwechsel. “Die ganze Stimme musste umgewichtet werden. Einfach war das nicht. Aber mein sportliches Wollen hat mir auch da geholfen”, erinnert sie sich. Im April 2005 stellte sie sich in Korngolds “Die tote Stadt” in Amsterdam erstmals als Sopranistin vor. Nach diesem Riesenerfolg kamen so viele Angebote, dass sie einen klaren Schlussstrich ziehen konnte: Sie sagte ihre Mezzo-Verpflichtungen ab. Der Fachwechsel bringt ein gewaltiges Arbeitspensum mit sich. Nadja Michael studiert und singt nicht weniger als 14 neue Partien in zwei Jahren. Die zierliche Frau ist glücklich im Reich von Leonore, Salome und Lady Macbeth: “Für mich fühlt es sich an, als würde ich nach Hause kommen. Eine Welt ist aufgegangen.” Die Welt der Stimmband-Königinnen, der Primadonnen.
Die Tosca entwickelt sich zu einer ihrer neuen Paraderollen. Nicht nur in Berlin, auch in München, Bregenz und vielen anderen Städten wird sie die Titelrolle von Puccinis Oper singen. Seit zwei Jahren lebt die alleinerziehende Mutter von zwei Töchtern in Berlin. “Cavalleria rusticana” und “Pagliacci” hat sie als Zuhörerin am Hause schon erlebt. Sie liebt die Erfolgsinszenierung von David Pountney, die zunächst mit einem gigantischen Bühnenbild einen Hauch sizilianischer Wirklichkeit herbeizaubert, während Teil zwei die Tragödik und Doppeldeutigkeit des Werks durch die völlige Dekonstruktion herausstreicht. “Eine wunderbare, zeitlose und doch moderne Umsetzung”, findet die Sopranistin. Sie freut sich sehr auf ihr Heimspiel, auf die veristischen Doppelabende mit José Cura, Chiara Taigi, Aleksandrs Antonenko und Alberto Mastromarino.
MORGENPOST DRESDEN, 29.09.2006
Nadja Michael aus Gerichshain (bei Leipzig) macht Weltkarriere
“Ich gebe immer alles und noch ein bisschen mehr”
DRESDEN – Andere sind vielleicht früher gestartet, aber nie dort angekommen, wo Nadja Michael inzwischen mitmischt: Nach einer Leistungssportkarriere als Schwimmerin in der DDR entdeckte sie ihr Talent als Sängerin, gastierte als Mezzosopranistin an den führenden Häusern der Welt – von der Mailänder Scala bis zu den Royal Opera Houses Covent Garden in London oder der Carnegie Hall New York – und ist inzwischen auf dem Weg zur Weltspitze der Sopranistinnen. Am kommenden Sonnabend gibt sie ihr Debüt als Lady Macbeth in der Semperoper – eine der anspruchsvollsten Sopranpartien.
Interview: Jörg Schneider
Anfang vorigen Jahres haben Sie noch Mezzo gesungen, warum der Wechsel?
Nadja Michael: Als ich vor fünf Jahren zum ersten Mal die Venus in “Tannhäuser” gesungen habe, ist mir aufgefallen, dass mir die dramatischen Höhen besonders leicht fielen. Da dachte ich: Vielleicht bist du doch eher Sopran. Später habe ich den Fachwechsel systematisch vorbereitet, man kann das in einem gewissen Rahmen trainieren wie als Sportler.
Sie haben ja schon eine Karriere als Sportlerin hinter sich. Wie kommt man aus dem Schwimmbecken auf die Opernbühne?
Ich bin nicht in einer Musikerfamilie aufgewachsen, aber dem Gesang gehörte schon immer meine Liebe. Nachdem ich im Sommer 1989 über Ungarn in den Westen gegangen bin, habe ich damit Ernst gemacht und in Stuttgart angefangen zu studieren.
Wie muss eine Partie beschaffen sein, dass sie Sie herausfordert?
Jede Partie, wenn man sich nur genügend hineinvertieft, kann Kontur bekommen. Auch die vermeintlich glatten. Ich gebe immer alles und noch ein bisschen mehr.
Die Lady Macbeth ist als Stimmkiller bekannt….
Das macht die gefährliche Kombination aus dramatischer Durchschlagskraft und leichtgängiger Höhe – wenn man sich dort nicht ganz selbstverständlich bewegt, scheitert man.
Streben Sie schon wieder zu neuen Ufern?
In Vorbereitung ist ein theatralischer Liederabend, bei dem ich in verschiedene Rollen schlüpfe. Demnächst steht auch meine erste Regie an, aber ich würde auch gern einmal in einem Kunstfilm mitspielen.
Was ist das Geheimnis Ihres Erfolges?
Kompromislose Härte zu mir selbst. Vor allem das Privatleben bleibt auf der Strecke – bis auf meine beiden Töchter Luna und Paloma, denen ich alles zu geben versuche, was sie brauchen. Aber ich bin auch sehr dankbar. Manchmal denke ich auf einer der großen Bühnen irgendwo in der Welt: Das bist du, Nadja Michael aus Gerichshain …
BERLINER MORGENPOST, 07.06.2006
Lustige Witwen von heute
Nadja Michael singt die Titelpartie in der Operetten-Premiere an der Lindenoper
Kirsten Liese sprach mit der Sängerin über den Rollenwechsel.
Wie stehen Sie zum Genre Operette?
Nadja Michael: Die Rolle der Hanna Glawari ist für mich als Sängerin – aber auch als Frau von heute – eine Herausforderung. “Die lustige Witwe” ist sozusagen meine erste Naherfahrung, meine erste Operetten-Partie überhaupt. Ich bin noch immer überrascht über die Straffheit der Partitur und die genialen musikalischen Einfälle Lehars, Hannas Vilja-Lied, “Lippen schweigen” oder “Ich gehe ins Maxim”. Ich finde, man muß Operetten ernst nehmen. Die Klischees, die sich sofort aufdrängen, mußte ich liebevoll zur Seite schieben, um mich nicht in der Rollenerarbeitung zu blockieren.
Wie kam es zu diesem ersten Operetten-Engagement?
Die Rolle kam eher wie ein Platzregen über mich, völlig unersehnt zu dem Zeitpunkt und auch unerwartet. Meine Situation, der Fachwechsel und damit einhergehende Absagen an frühere Mezzopartien haben den Platz für diese Produktion überhaupt erst möglich gemacht. Als ich vor zwei Jahren an der Staatsoper die Eboli erarbeitete, bereitete ich stimmtechnisch schon den Übergang vom Mezzo in das Sopranfach vor. Nach Berlin habe ich tatsächlich nur noch einen “Don Carlos” an der Wiener Staatsoper gesungen und dann ab April letzten Jahres nur noch Sopranpartien in Neuproduktionen wie “Tosca”, “Fidelio” oder auch die Marie/Marietta in Korngolds “Toter Stadt” in Amsterdam.
Ihr Studium begannen Sie als Sopran, später wechselten Sie zum Mezzo und jetzt wieder zurück.
Mein erster Versuch im Fach Gesang begann in Dresden – bei einer sehr jungen unerfahrenen Lehrerin, die mich katastrophaler Weise als hohen Sopran führte. Ich selbst hatte keinerlei kulturellen Hintergrund, was klassische Musik, insbesondere die Opern betrifft. So konnte das nur in den Abgrund führen, und ich zog mich nach einem Jahr für etwa zwei Jahre vom Gesang zurück.
Was für eine Einstellung haben Sie zur Regie? Philipp Himmelmann mutete ihm ja im “Don Carlos” an der Staatsoper schon einiges zu, als er Sie auf dem Tisch Unzucht treiben ließ. Wo liegt bei Ihnen die Schmerzgrenze?
Puuh, wahrscheinlich würde ich mich nicht gerne nackt auf der Bühne präsentieren. Da fühlt man sich als Sänger extrem bloßgestellt. Generell bin ich aber sehr offen für alle Sichtweisen und habe Spaß an neuen Blickwinkeln, wenn ein klares Konzept zu erkennen ist.
Was hatte Sie denn an Himmelmanns Konzept überzeugt?
Er vermittelte, daß es einen Punkt gibt, an dem die Eboli im übertragenen Sinne völlig nackt dasteht. Zuvor hatte sie den Mut, sich mit ihren Gefühlen jenseits politischer Absicht zu offenbaren, glaubte, daß ihre Liebe erwidert würde, wurde dann zurückgewiesen und auch noch vor einem politischen Widersacher, dem Marquis de Posa, bloßgestellt.
In der “Lustigen Witwe” arbeiten Sie erstmals mit dem Hausherrn Peter Mussbach zusammen. Wie erleben Sie ihn als Regisseur?
Als einen unglaublich energiegeladenen Menschen, der übersprudelt vor Ideen und herumspringt wie ein Geysir. Und ich gehe meine Partie sehr unvoreingenommen an. Hanna Glawari ist für mich eine sehr ernst zunehmende Frau. Ihre zweifelsohne sehr echten Gefühle zu Graf Danilo kann ich absolut nachvollziehen.
ORPHEUS 11+12/2005
Nadja Michael
Vor neuen Herausforderungen
Die Sängerin im Gespräch mit Kevin Clarke in Amsterdam
Sie gaben kürzlich in Amsterdam Ihr Debüt als Sopran. Was hat Sie bewogen, nach einer äußerst erfolgreichen Karriere als Mezzo, den Neustart in höheren Stimmregionen zu wagen? Hatten Sie einfach keine Lust mehr, im Schatten der Sopran-Diven zu stehen?
Sowohl stimmlich als auch darstellerisch waren meine bisherigen dramatischen Mezzosopranpartien für mich eine immense Herausforderung. Irgendwann bemerkte ich aber, dass die höhere tessitura mehr und mehr Leichtigkeit bekam, während sich die reale Mezzo-Lage zunehmend künstlich anfühlte; meine Stimme bahnte sich ganz allein ihren Weg nach oben… Ich habe also keine bewusste oder gar strategische Entscheidung getroffen, sondern bin einer ganz natürlichen Entwicklung gefolgt.
Sie waren in der DDR als Leistungsschwimmerin bekannt. Hat Ihnen diese sportliche Erfahrung beim Singen genutzt?
Als Sportlerin habe ich gelernt, regelmäßig bis an die eigenen körperlichen Grenzen zu gehen, an meine Visionen zu glauben und auch bei Rückschlägen nicht aufzugeben. Diese Erfahrungen haben mir einen fast unbegrenzten Vorrat an Energie und ein sensibles Körperbewusstsein gegeben, aus dem ich in verschiedensten Lebenssituationen (z. B. auch als Sängerin) schöpfe und profitiere. So fand ich mich in den letzten beiden Jahren in schmerzlichen persönlichen und darauf folgenden beruflichen Situationen wieder, die mich buchstäblich “außer mich” setzten. Durch meine – salopp ausgedrückt – sportliche Einstellung gegenüber jeder Form von Problemen konnte ich mir durch den Schmerz hindurch neue Kraftquellen erschließen. Nur so war ich in der Lage, mich als Mensch, Mutter und Sängerin neu zu definieren.
Hat das körperliche Verausgaben auf der Bühne eine erotische Komponente?
Diese Frage wurde mir oft gestellt und versetzt mich doch jedes Mal wieder in Erstaunen. Die intensive Vertiefung in eine Bühnengestalt bringt nicht unisono eine volle körperliche oder gar erotische Einbindung mit sich. Dennoch gibt es Momente voller knisternder Erotik auf der Bühne – immer dann, wenn zwei musikalische Ideen von einem Atem getragen werden, eine gestische oder verbale Verständigung unnötig wird, Idee und Emotion zweier Personen völlig miteinander verschmelzen. Das sind die Momente, wo es in einem Opernhaus ganz still wird. Schon allein das Verbalisieren des Unaussprechlichen fühlt sich sinnlich an, finden Sie nicht?
Sie haben ein recht abenteuerliches Leben hinter sich, aus der DDR in den Westen geflüchtet vor dem Fall der Mauer, Studium in Stuttgart und dann in den USA. Wie wichtig sind solche Erfahrungen, um Opernrollen gut zu singen – gerade so einen schillernden Charakter wie Marietta oder Tosca oder Eboli?
Ich bin dankbar für alle positiven und negativen Erfahrungen, die ich machen durfte. Mit jedem neuen Eindruck, jedem gelebten Tag, verändert sich das Verständnis für musikalische Formen und Inhalte und damit auch die Herangehensweise an die Musik und die Geschichte, die dahinter steht.
Sie sind alleinerziehende Mutter zweier Kinder. Wie funktioniert das, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen?
Der Spagat zwischen Mutter und Sängerin zu sein und den damit einhergehenden logistischen Aufgaben (da beide Kinder immer bei mir sind) erfordert viel Energie. Aber ich habe ein Kindermädchen, das mitreist und aufpasst, wenn ich probe und abends ins Theater muss. Meine große Tochter kennt “Don Carlos” besser als ich; die kleine Tochter erzählt seit zwei Monaten ständig von Marie und Marietta. Meine Kinder lieben Musik, haben noch im Bauch das große Opern-Repertoire quasi erfühlt. Ich nehme meine Töchter fast immer mit, und so genießen wir unser eher unkonventionelles Leben. Ich bin sehr froh, dass meine Kinder verschiedene Kulturen, Musik, Theater, geistige Werte als Normalität erleben dürfen und halte das für ein Privileg. Da ich eine leidenschaftliche Löwenmutter bin, kann ich es mir gar nicht mehr anders vorstellen.
Was für Musik hören Sie, wenn Sie zuhause sind und entspannen wollen?
Noch vor zwei Jahren gehörten Nora Jones, Marla Glenn, Tom Waits und andere fest zu meinen Entspannungsritualen. Inzwischen nehmen Violin- oder Klavierkonzerte (meist von Bach) mehr und mehr die Hauptrolle ein. Ansonsten gibt es da noch viel Kindermusik…
Wo ist derzeit Ihr Zuhause ?
Berlin, Berlin… Ich bin begeistert von Berlin. Diese Stadt ist immer noch im Aufbruch, stets hochdynamisch und hat kulturell alles zu bieten, was man sich nur wünschen kann. Berlin ist nicht träge, saturiert und bequem. Gleichzeitig bieten diese Stadt und ihr Umfeld viele Erholungs- und Ruhepunkte, die zudem noch leicht erreichbar sind. Ich könnte mir jedoch durchaus vorstellen, einen zweiten Wohnsitz in den USA zu haben, etwas außerhalb einer großen Stadt wie New York oder Los Angeles. Mir gefällt das positive amerikanische Lebensgefühl, dieses etwas anpacken wollen, aktiv sein, die Großzügigkeit und Toleranz dort. Werte, die ich in Berlin übrigens auch wieder finde.
Sie sind nicht nur eine attraktive Frau mit einer attraktiven Stimme. Sie haben auch eine eigene PR-Dame. Wie wichtig sind solche “modernen” Maßnahmen, um Karriere zu machen?
Man kann nicht alles in einem sein: Künstler und PR Profi. Ich lasse mich gerne in Bereichen, die nicht künstlerischer Natur sind, unterstützen. Meine Erfahrung lehrt mich, dass wichtige Fachwechsel, Entwicklungen und damit verbundene Schritte und Erfolge kommuniziert werden müssen. Kein Intendant, Opern- oder Castingdirektor kann an jedem Ort der Welt sein und alles selbst beobachten. Außerdem möchte ich gern das Publikum das mich ja trägt, an meinem Werdegang teilhaben lassen. Dafür braucht man professionelle Hilfe.
Könnte man in der Oper nicht viel von der Popwelt lernen was Vermarktung, Selbstinszenierung, aber auch Stil und Glamour angeht , um der Oper die Aura des Altmodischen, Verstaubten zu nehmen?
Die Äußerlichkeit, die use-and-loose-it-Mentalität der aktuellen Pop-Branche, würde ich nicht so gern in der Oper wiederfinden. Das von Ihnen erwähnte „Verstaubte” der Opernwelt entsteht interessanterweise aus der gleichen Form der Äußerlichkeit- der Form ohne Inhalt. Die sogenannte statische Oper sieht man zum Glück nur noch selten. Ich bin froh, dass wir Sänger heute mit all unseren Qualitäten, unserem Wissen, unserem musikalischen Instinkt und auch als Darsteller gefordert sind. Daraus entstehen lebendige Interpretationen und Inszenierungen. Das weckt Interesse beim Publikum als Zuhörer und Zuschauer und bringt neuen Glamour und neue Stars in die Welt der Oper, lockt damit seit ein paar Jahren auch mehr und mehr junge Menschen ins Opernhaus.
Was sind Ihre Pläne?
Die nächste Partie wird Tosca sein, gefolgt von Fidelio – dazwischen immer wieder Eboli in Berlin und in Wien, Kundry im Februar. Es wird unter Zubin Mehta eine „Fidelio”-Verfilmung geben mit Peter Seiffert als Florestan, mein Debüt als Lady Macbeth in Dresden steht bevor, die Gioconda in Lissabon und 2008 Salome in Covent Garden in einer Neuproduktion – alles extreme Charaktere, starke Frauen mit pathologischen Zuständen, darstellerisch und gesanglich natürlich eine Traumherausforderung!
Was wäre denn Ihre Traumrolle – in zehn Jahren?
Ehrlich gesagt, liegen so viele Traumrollen in nächster Zukunft vor mir, dass fast keine Wünsche offenbleiben. Für die Seele und die gesunde Stimme, für die Flexibilität wünsche ich mir natürlich viel italienisches Repertoire, wie “Ballo”, “Gioconda` usw., aber auch Katja Kabanova oder Lisa. Die Welt ist jetzt, da ich Sopranrollen singe, plötzlich so viel größer – und ich bin voller Vorfreude und kann die neuen Herausforderungen kaum erwarten.
PROLOG – Journal der Wiener Staatsoper
Die Freude an der Veränderung
Nadja Michael singt wieder die Eboli in Verdis Don Carlo
von Andreas Láng
Wer ein wenig hinter die Theaterkulissen blicken darf weiß, daß es genau genommen zwei Arten von Künstlern gibt: Jene, die trotz ihres Talents, ihres Könnens und ihrer Erfolge unter dem körperlich wie seelisch belastenden Alltag des Bühnenlebens leiden, und jene, die mit aller Leidenschaft an genau diesem Dasein hängen und vollständig darin aufgehen. Die deutsche Sängerin Nadja Michael gehört zweifelsohne zur zweiten Gruppe, ja sie ist sich sogar sicher, in ihrem Beruf geradezu jene Form gefunden zu haben, in der sie sich am besten zu artikulieren weiß. Kein Wunder also, wenn sie im Gespräch mit dem pro:log im Zusammenhang mit ihrem Künstlerleben von einem einzigartigen Privileg spricht und beteuert, daß sie es nie bereut hat, diesen Beruf ergriffen zu haben. “Die Bühne gibt mir die Möglichkeit, extreme Figuren geistig und emotional mit seinen schönen und häßlichen Facetten auszuleben. Das ist eine Form der Sublimierung, das ist mir bewußt, und ich habe Freude daran. So erscheine ich auf der Bühne oft expressiver als im realen Leben.”
Angefangen hatte alles nach ihrer Flucht aus der damaligen DDR. Knapp 2Ojährig begann sie in Stuttgart mit einem Gesangsstudium, um sich dann in den USA zu vervollkommnen. Noch vor dem regulären Abschluß bekam sie die Möglichkeit an der Bayerischen Staatsoper vorzusingen — das Ergebnis war eine langjährige intensive Zusammenarbeit mit dem Haus, sodaß sie aus rein praktischen Gründen gleich nach München zog. Sowohl Intendant Peter Jonas als auch Zubin Mehta, mit dem sie nach wie vor eine enge Zusammenarbeit verbindet, waren von der jungen Sängerin begeistert. Rückblickend sieht Nadja Michael ziemlich dankbar auf diese Zeit zurück: “Ich war noch gänzlich unerfahren, manchmal auch undiplomatisch, mit dem Herzen auf der Zunge. Trotzdem kamen sehr bald viele Angebote von den wichtigsten großen Bühnen. Nach einiger Zeit stellte sich aber eine gewisse Unsicherheit meinerseits ein. Die Stimme war von Anfang an groß, mit einer guten Höhe und Tiefe, doch war die Richtung der Entwicklung nicht ganz klar. Sicher war nur, daß der Weg noch offen schien.” Vorerst führte der Weg Nadja Michael ins dramatische Mezzosopranfach. Mit großem Erfolg sang sie auf allen großen internationalen Bühnen Venus, Kundry, Eboli, Amneris oder die Titelpartie in Bizets Carmen, mit der sie übrigens im September 2001 auch an der Wiener Staatsoper debütierte. Aber schon vor vier Jahren, als sie in Toulouse ihre erste Venus sang, zeichnete sich der notwendige Wechsel ins Sopranfach ab. “Es ist ja absolut nicht so, daß ich diesen Wechsel beabsichtigt oder ihn verweigert hätte. Es hat sich alles ganz natürlich ergeben, nur war ein früherer Wechsel aus verschiedenen Gründen nicht machbar.” Unter an derem wurde sie zweifache Mutter und mußte für einige Zeit entsprechend zurückstecken. Doch nun ist es so weit: In Amsterdam interpretierte Nadja Michael vor kurzem die Marietta in Korngolds Die Toten Stadt, und sie wird die Fidelio-Leonore ebenso in ihr Repertoire aufnehmen wie die Titelpartie in Puccinis Tosca, die Lady Macbeth, die Vitellia in Mozarts La clemenza di Tito oder die Elisabeth im Tannhäuser. Im letzteren Fall eröffnet sich für sie dadurch auch die Möglichkeit, beide Frauenpartien am selben Abend zu singen.
Einige Zwischenfachpartien wie die Prinzessin Eboli wird sie aber noch eine Weile beibehalten — ein Umstand, der all jene, die Nadja Michael im vergangenen Herbst in der französischen Don Carlos-Neuproduktion an der Wiener Staatsoper erleben durften, freuen wird. Der große Jubel, der ihr auf Grund ihrer stimmlichen und schauspielerischen Leistungen seitens der Zuhörer am Premierenabend entgegenbrandete, zeigte deutlich, daß das Wiener Publikum Nadja Michael ins Herz geschlossen hat. Aber auch die Künstlerin selbst war mit der Produktion, in der sie im Juni ins Haus am Ring zurückkehren wird, hoch zufrieden: “Ich habe Regisseur Peter Konwitschny schon in Hamburg kennengelernt, als wir den dortigen Don Carlos einstudierten. Dadurch sehe ich auch den großen Unterschied in den beiden Inszenierungen, der die Produktionen in Hamburg und Wien voneinander trennt. Die textlichen und musikalischen Differenzen sind ja von jedem nachzuvollziehen, darüberhinaus hat sich aber auch an der Personenführung viel verändert — vor allem bei der Titelfigur selbst, da sie in beiden Städten unterschiedlich besetzt war. Mit Ramón Vargas wurde in Wien die Person des Carlos weicher, weniger verrückt, menschlicher und dadurch sympathischer. Damit war auch die Geschichte, die erzählt wurde, im Grunde nicht mehr die gleiche. Darin besteht ja unter anderem das Schätzenswerte an Peter Konwitschny, daß er die Operngestalten immer von den Sängerpersönlichkeiten her gestaltet und nicht einfach ein bereits ausgearbeitetes Konzept über alles drüberstülpt. Das bewirkt diese Lebendigkeit und Glaubwürdigkeit, die von seinen Regiearbeiten im allgemeinen und vom Don Carlos im besonderen ausgehen.”
Im Gegensatz zu vielen ihrer deutschsprachigen Kollegen kann sich Nadja Michael nicht darüber beklagen, im italienischen Fach zu kurz zu kommen. Mailand, Neapel, Venedig, Genua, Florenz, Verona oder Macerata: überall konnte sie mit italienischen Partien Erfolge feiern, worauf sie verständlicherweise recht stolz ist. “Ich wünsche, daß mir dies in all den Opernhäusern auch als Sopran gelingt.” Hatte sie am Beginn ihrer Karriere hauptsächlich als Konzertsängerin von sich hören lassen, so ist dieser Bereich zu ihrem Leidwesen gegenwärtig etwas in den Hintergrund getreten. Vor allem die Spätromantik mir Werken von Gustav Mahler oder Alexander Zemlinsky standen im Mittelpunkt ihrer Tätigkeit. “So sehr ich im Opernbereich persönliche Interpretationen, die ruhig etwas Gewohntes und Althergebrachtes umstoßen dürfen, liebe, sollte am Konzertpodium das Individuum zurückgenommen werden. Hier geht es wirklich darum, dem puren Werk zu dienen und keinerlei Inszenierung dazuzugeben. Ganz im Gegensatz zur Oper tendiere ich da eigentlich immer mehr zu einer Form von Reduktion.”
Eine interessante neue Entwicklung zeichnet sich ihrer Meinung nach in der Opernwelt, aber auch in der gesamten Welt der klassischen Musik ab. “Ich bin froh, daß man heute auch als Darsteller beziehungsweise Darstellerin stark gefordert wird”, betont Nadja Michael. “Dadurch werden eine Form von notwendigem Glamour und neue Stars in die Welt der Oper gebracht, die dieser immens gut tun und sowohl den Künstlern als auch den Zusehern und Zuhörern Neues bringen.”
MORGENPOST – Vocal Cord Princess
Originally she wanted to become a top swimmer: Tomorrow Nadja Michael will perform at the Staatsoper
by Volker Blech
An opera singer, who looks like a model? She just shrugs her shoulders, half flattered, half bored. “Directors naturally are happy about scenic mobile actresses, says Nadja Michael. She is currently rehearsing under the direction of Philipp Himmelmann at the Staatsoper Unter den Linden. She sings the Eboli in Verdi’s Don Carlo. Probably not a lightweight part. Apart from that the lady in her mid-thirties has a rather sceptical view of sportivity. Especially in my genre a special image is generally expected, she says. One just to has fit in to get these roles. This fact made some of the auditions a little difficult for her. One just couldn’t believe in her vocal evaluation as she started as a deep alto. Then she came on stage, as she tells us, and announced Erda from Wagner’s “Rheingold” and “Immediately all heads of the jury went down”, she remembers, but “After the first tone, they were lifted again.”
Nadja Michael, who describes herself as stubborn, forceful but sensitive cannot look back on a straight career. She comes from an old Saxon city of culture, the possibilities were easily available – but her family did not belong to the Leipzig musical cliquism. Her father, a political outsider in the DDR, had a hard time to earn a living for his wife and five children. Classical music was not part of his everyday life. Following the typical DDR-model of the talent support system everybody was “measured at school”, comments Mrs. Michael. She was discovered as a top-performance swimmer. Her parents did not “pull the emergency break” before the Leipzig College of Physical Education announced a professional career.
One of her brothers was recommended for the Thomaner. That made her curious about singing. She heard Maler in a Gewandhaus concert. She describes this almost as an arousing experience. She attended the special school of music in Markkleeberg, a public school near Leipzig. At DDR times, young future music teachers were trained there. “But being a teacher just wasn’t really my thing” says Nadja Michael. She started her studies in Dresden, broke them off, and just before the fall of the wall she moved to the West and started jobbing there.
Her artistic life began with a musical training in Stuttgart and at the Indiana University in Bloomington. But what always sounds so sparkling in biographies, the singer briefly describes as a “hard time” . It was a different world, which she had to fit in. She was lacking the family background, the knowledge of foreign languages, the cosmopolitan awareness as such. She says that she learnt a lot during that time, for example to be more diplomatic. And she had to go through “thousands of auditions”. Some time the offers came. She says “My career rolled over me”.
She now lives a privileged life, adds the Munich lady, who soon intends to move to Berlin.
Her opera debut at the Ludwigsburger Schlossfestspiele in 1993 was followed by engagements in London, Tokyo, Glyndebourne, Salzburg. Besides Wagner parts such as Venus in “Tannhäuser” or Kundry in “Parsifal”, she above all discovered the French and Italian genres, between Berlioz, Massenet, Bizet and Verdi. As Amneris and Eboli she successfully sings her way through Italy. The Berlin Eboli now is her fourth production after Genua, Hamburg and Munich. The next one will be at the Wiener Staatsoper. In the meantime she sings in more operas than concerts. She is not so interested in galas. She comments that this is another genre and that one has to be able to do that kind of thing – like “holding the C” especially long and keep on smiling.”
How many performances does she have per season? “56 performances” she comments like a shot. Nadja Michael is a singer who obviously knows precisely what she wants. And what not. Like being a model for example. She has already tried that for an art calendar or so. She is not really interested in that subject. “I am a stage-person” she says. In the future she wants to change to the dramatic soprano genre. “Then the world of repertoires will open up for me”. That’s the world of the vocal cord queens. And maybe the dream of being a primadonna.